
Praxismanagement
Wer eine Arztpraxis hat, beschäftigt im Regelfall auch Mitarbeiter. Doch nicht jeder gute Arzt ist automatisch auch eine geborene Führungskraft. Sich ein paar Dinge bewusst…
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Die elektronische Patientenakte ist nicht gerade das Lieblingskind der verfassten Zahnärzteschaft – zumindest in puncto Digitalisierung des Gesundheitswesens. Nachdem eine EU-Verordnung aus Sicht von KZBV und BZÄK den Beschlagnahmeschutz von in der ePA gespeicherten Daten vor dem Zugriff von Strafverfolgungsbehörden aus EU-Mitgliedstaaten gewährt, sieht sie Gefahr auf nationaler Ebene. Das sich im Legislativprozess befindliche Umsetzungsgesetz der Verordnung solle die Gefahr bannen. Knackpunkt ist laut KZBV und BZÄK die Strafprozessordnung in ihrer jetzigen Fassung.
In einer im Juli veröffentlichten, gemeinsamen Stellungnahme adressieren die Bundeszahnärztekammer (BZÄK) und die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) bezüglich der Strafprozessordnung (StPO). Sie fordern eine Ergänzung in §97.
„§ 97 Abs. 2 StPO wird wie folgt gefasst: ‚Diese Beschränkungen gelten nur, wenn die Gegenstände im Gewahrsam der zur Verweigerung des Zeugnisses Berechtigten sind, es sei denn, es handelt sich um eine elektronische Gesundheitskarte nach § 291a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch oder um eine elektronische Patientenakte nach § 341 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch hinsichtlich der von einem zur Verweigerung des Zeugnisses Berechtigten eingestellten Daten.“
Anlass der Stellungnahme ist die Umsetzung der am 18. August 2023 in Kraft getretenen E-Evidence-Verordnung der Europäischen Union (EEVO), die bis zum 18. August 2026 erfolgen muss. Das BMJV hat vor Kurzem einen Referentenentwurf zur Umsetzung der EEVO in nationales Recht vorgelegt. „Die Verordnung regelt den direkten grenzüberschreitenden Zugriff mitgliedstaatlicher Strafverfolgungsbehörden auf elektronische Beweismittel“, wie es auf der Website der Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI), Professorin Louisa Specht-Riemenschneider, heißt.
Im Falle der in Deutschland praktizierenden Zahnärztinnen und Zahnärzte könnte hier, so die Befürchtung von KZBV und BZÄK, auf nationaler Ebene der Schutz für Daten von Berufsgeheimnisträgern vor dem Zugriff staatlicher Ermittlungsbehörden gefährdet sein – und zwar mit Blick auf die elektronische Patientenakte (ePA) oder andere elektronische Speicherorte. „Dieses Schutzniveau muss jedoch auch auf nationaler Ebene umfassend und unmissverständlich gewährleistet werden“, heißt es in der Stellungnahme.
Im EEVO-Fokus stehen dagegen elektronisch gespeicherte Daten im Zusammenhang mit in Deutschland erfolgten zahnärztlichen Behandlungen von Patienten, die ihren Wohnsitz in einem anderen EU-Mitgliedstaat haben. „Mit einer Sicherungsanordnung können elektronische Beweismittel unmittelbar von der anordnungsbefugten Justizbehörde eines Mitgliedstaates (dies ist der sogenannte Anordnungsstaat) bei einem in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Provider sichergestellt – d. h. dort für einen Zeitraum von 60 Tagen vorgehalten – werden. Die Herausgabenanordnung bewirkt eine direkte Herausgabe der Beweismittel an die anfordernde Justizbehörde. Auf diese Weise entfällt das Rechtshilfeverfahren“, verdeutlicht die BfDI auf ihrer Website. Die oben genannten Provider können im konkreten Falle Cloud-Anbieter sein, bei denen Patientendaten aus dem Praxisverwaltungssystem (PVS) gespeichert werden.
„Ungeachtet dessen, dass § 97 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 StPO mitunter für entsprechend auf die ePA für anwendbar erachtet wird, halten BZÄK und KZBV insoweit eine Klarstellung für unverzichtbar, wonach auch die in der ePA eingestellten Daten dem gleichen Beschlagnahmeschutz unterliegen wie die auf einer eGK befindlichen Daten“, begründet die verfasste Zahnärzteschaft ihre Forderung nach Konkretisierung der StPO. Dies diene der umfassenden und unmissverständlichen Erhaltung des Schutzniveaus auch auf nationaler Ebene.
BZÄK und KZBV verorten als Ursache für die derzeitige Situation Versäumnisse im Zuge der Gesetzgebung zum Patientendatenschutzgesetz (PSDG) aus dem Jahr 2020. „Für die sensiblen Gesundheitsdaten nach Absatz 2 gilt der Beschlagnahmeschutz nach der Strafprozessordnung (StPO). Hierfür bedarf es keiner gesonderten Regelung. Schriftliche Aufzeichnungen oder schriftliche Mitteilungen eines Zeugnisverweigerungsberechtigten unterfallen dem Beschlagnahmeverbot des § 97 Abs. 1 StPO, wenn sie im Gewahrsam des Zeugnisverweigerungsberechtigten sind. Nach § 11 Abs. 3 des Strafgesetzbuches (StGB) gilt dies auch für Daten, die von dem Zeugnisverweigerungsberechtigten in die elektronische Patientenakte eingestellt werden. Darüber hinaus greift das Beschlagnahmeverbot für die elektronische Patientenakte gemäß §§ 97 Abs. 3 StPO auch dann, wenn sich die elektronische Patientenakte bei der aktenführenden Krankenkasse befindet, da es sich bei letzterer im Rahmen der Führung der elektronischen Patientenakte um eine ‚mitwirkende Person‘ nach § 53a Abs. 1 S. 1 StPO handelt“, hieß es im PDSG-Regierungsentwurf (Bundestags-Drucksache 19/1879).
In dem dann nach viermonatiger parlamentarischer Diskussion und nach dem 2. Durchgang im Bundesrat am 20. Oktober in Kraft getretenen „Gesetz zum Schutz elektronischer Patientendaten in der Telematikinfrastruktur“ ist dieser Passus entfallen, fehlen die Begriffe „Beschlagnahmeverbot“ und „Zeugnisverweigerungsberechtigte“ gänzlich.
Zu diesem Zeitpunkt befand sich die spätere „Verordnung (EU) 2023/1543 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juli 2023 über Europäische Herausgabeanordnungen und Europäische Sicherungsanordnungen für elektronische Beweismittel in Strafverfahren und für die Vollstreckung von Freiheitsstrafen nach Strafverfahren“, so der offizielle, etwas sperrige Name der EEVO, noch in den Trilogverhandlungen, also im Brüsseler Gesetzgebungsverfahren.
Noch in der am 6. Juli 2021 vom EU-Parlament bereits verabschiedeten Fassung der E-Evidence-Verordnung war aus deutscher Sicht der Schutz der Daten von Berufsgeheimnisträgern nicht gewährleistet, obwohl aus Deutschland in Brüssel massiver politischer Druck ausgeübt worden war. Hintergrund ist, dass viele EU-Mitgliedstaaten einen solch umfassenden Schutz von Berufsgeheimnisträgern schlicht nicht kennen, viele Abgeordnete die geäußerten Bedenken wohl als Ausdruck der „German Angst“ abgetan haben.
Stellvertretend für die Bedenken der Berufsgeheimnisträger in Deutschland liest sich eine Pressemeldung der Bundesärztekammer (BÄK) zum damals anstehenden Votum des Rates bzgl. der vom Parlament verabschiedeten EEVO-Fassung. „Aus Sicht der Ärzteschaft garantiert das ärztliche Berufsgeheimnis den Schutz von Patientendaten vor einer strafprozessualen Verwendung. Das aber werde durch das vorgeschlagene Verfahren unterlaufen. ‚Es wird dadurch ein Instrument geschaffen, das geeignet ist, Vertrauen der Patientinnen und Patienten in digitale Lösungen im Gesundheitsbereich, wie zum Beispiel die elektronische Patientenakte, zu erschüttern‘, betonten die Abgeordneten des Ärztetags. Dies stelle eine erhebliche Grundrechtsbeeinträchtigung dar und gefährde die ärztliche Schweigepflicht. Patientinnen und Patienten müssten sich auf die Sicherheit ihrer Daten verlassen können.
Die E-Evidence-Verordnung in ihrer jetzigen Form könnte das Vertrauen der Menschen in digitale Lösungen im Gesundheitswesen und auch in einen künftigen Europäischen Gesundheitsdatenraum schwächen. ‚Wir können dann nicht mehr ausschließen, dass Ärztinnen und Ärzte aus Sorge um die Sicherheit der sensiblen Patientendaten die Etablierung von digitalen Prozessen in ihren Praxen aussetzen‘, hatte (BÄK-Präsident) Reinhardt in seiner Rede vor den Abgeordneten des Deutschen Ärztetages gewarnt“, so die BÄK im November 2021. Schließlich setzte sich Deutschland mit seinen Interessen betreffs der Berufsgeheimnisträger in Brüssel durch. „Einleitend ist insoweit positiv festzustellen, dass die Verordnung (EU) 2023/1543 gegenüber dem ursprünglichen Kommissionsentwurf einen effektiven Schutz für Daten von Berufsgeheimnisträgern vor dem Zugriff staatlicher Ermittlungsbehörden gewährt“, betonen auch BZÄK und KZBV in ihrer aktuellen Stellungnahme aus dem vergangenen Monat.
Anlass für die EEVO-Gesetzgebung waren die Terroranschläge von Brüssel am 22. März 2016. Bereits zwei Tage später gaben die EU-Minister für Justiz und Inneres sowie die Vertreter der EU Organe eine gemeinsame Erklärung zur Stärkung der Terrorismusbekämpfung in Europa ab. Darin hieß es unter anderem: „Es müssen vorrangig Wege gefunden werden, um elektronische Beweismittel schneller und wirksamer zu sichern und zu erlangen, und zwar durch eine verstärkte Zusammenarbeit mit Drittländern und mit im europäischen Hoheitsgebiet tätigen Dienstleistungserbringern, damit die Einhaltung der Rechtsvorschriften der EU und der Mitgliedstaaten und der direkte Kontakt mit den Strafverfolgungsbehörden verbessert werden. Der Rat wird auf seiner Tagung im Juni konkrete Maßnahmen bezüglich dieser komplexen Frage ermitteln.“ Knapp zehneinhalb Jahre später soll die EEVO nun schnellere, grenzüberschreitende Ermittlungen innerhalb der EU ermöglichen.
In Deutschland bleibt die ePA 3.0 derweil – abseits der sehr spezifischen Stellungnahme von KZBV und BZÄK – medial wie auch gesundheitspolitisch ein Dauerbrenner. Klar ist: Das von dem damaligen Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) proklamierte Ziel, die „ePA für alle“ solle im Jahr des Rollouts von 80 Prozent der gesetzlich krankenversicherten Menschen genutzt werden, bleibt weiterhin ambitioniert. Immerhin krönte die bundesweite Einführung der ePA für alle am 29. April dieses Jahres noch Lauterbachs Amtszeit – wenn er auch, bedingt durch die erfolgten Bundestagswahlen, bereits nur noch geschäftsführend im Amt weilte.
Der Interessenverband Pharma Deutschland verwies anlässlich der 100-Tage-Bilanz Anfang August auf eine Befragung der Nachrichtenagentur dpa bei der Techniker Krankenkasse (TK), den Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) und der Barmer, die ergeben habe, dass nur 1,2 Millionen von den bei diesen Kassen angelegten 44 Millionen Akten von den Versicherten aktiv genutzt würden. Einer von Pharma Deutschland in Auftrag gegebenen, nach Verbandsangaben repräsentativen Umfrage zufolge, gaben mehr als 75 Prozent der Befragten an, die ePA zu kennen – ein Wert, der bereits seit April 2025 nahezu unverändert bei 74 Prozent liege. Zwar sei der Anteil der tatsächlichen nutzenden GKV-Mitglieder seit dem Rollout von 11,9 auf 16,2 Prozent gewachsen, bleibe damit aber weiter auf einem insgesamt niedrigen Niveau.
Zentrale Hürden für die Nutzung sind nach Ansicht von Pharma Deutschland eine komplizierte Registrierung für Versicherte, technische Probleme sowie unzureichende Informationen. Hinzu komme, dass viele Versicherte mit dem digitalen Umfeld des Gesundheitswesens nach wie vor wenig vertraut und unsicher seien. Lauterbachs Amtsnachfolgerin Nina Warken (CDU) kämpft aber gerade mit größeren Baustellen – exemplarisch hierfür steht die Modifizierung der unter Lauterbach eingetüteten Klinikreform.
Immerhin, und dafür erntet sie vor allem das Lob des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzt*innen (BVKJ), hat das Bundeskabinett Anfang August den Entwurf eines Gesetzes zur Befugniserweiterung und Entbürokratisierung in der Pflege – ebenfalls eine Altlast der Ampel-Koalition, die damals noch als Pflegekompetenzgesetz tituliert worden war, – beschlossen. Darin enthalten sind unter anderem zentrale ePA-Änderungen, die insbesondere Kinder und Jugendliche besser schützen sollen.
Der Gesetzentwurf sieht vor, dass die Verpflichtung zur Befüllung der ePA entfällt, wenn erhebliche therapeutische Gründe dagegen sprechen, schutzwürdige Rechte Dritter berührt wären oder gewichtige Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Kindeswohls vorliegen – bei Kindern und Jugendlichen bis zur Vollendung des 15. Lebensjahres. Der BVKJ weist explizit darauf hin, dass Ärzte, Zahnärzte und andere Leistungserbringer verpflichtet würden, die Gründe für die Nicht-Befüllung der ePA nachvollziehbar in ihrer Behandlungsdokumentation zu vermerken. Das Gesetz bedarf nicht der Zustimmung des Bundesrates. Die gesetzliche Verpflichtung zur Befüllung durch Leistungserbringende ist nach jetzigem Stand noch immer zum 1. Oktober 2025 geplant.
Teams von Zahnarztpraxen, die sich noch nicht so sehr auf den ePA-Einsatz vorbereitet haben, finden auf der Website der gematik, der Betriebsgesellschaft der Telematikinfrastruktur, unter anderem Aufzeichnungen der digitalen Infoveranstaltungen für Zahnarztpraxen zur Einführung der ePA für alle, bei denen KZBV und BZÄK mit an Bord waren. An kommenden Veranstaltungen sollen laut gematik auch Hersteller von Primärsystemen beteiligt sein. Verlinkung zur gematik: https://www.gematik.de/anwendungen/epa-fuer-alle/mitschnitte-zahnarztpraxen
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