
Praxismanagement
Wer eine Arztpraxis hat, beschäftigt im Regelfall auch Mitarbeiter. Doch nicht jeder gute Arzt ist automatisch auch eine geborene Führungskraft. Sich ein paar Dinge bewusst…
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Am 28. Juni griff das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz. Arztpraxen und Medizinische Versorgungszentren müssen dafür gesorgt haben, dass ihre Websites ohne Einschränkungen zugänglich sind. Vorbereitet dürften nur die wenigsten sein. Wir erläutern, was das konkret für Ärztinnen und Ärzte bedeutet.
Bei Barrierefreiheit denken viele Ärztinnen und Ärzte in erster Linie an rollstuhlgerechte Wege, Aufzüge oder Behindertentoiletten. Was viele aber nicht wissen: Auch ihre Websites sollten ohne Einschränkungen zugänglich sein. Und zwar am besten seit dem 28. Juni.
Denn seit diesem Tag greift in Deutschland das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG), das eine EU-Richtlinie aus dem Jahr 2019 umsetzt, auch bekannt als European Accessibility Act (2019/882). Für öffentliche Einrichtungen wie Behörden und Ministerien gibt es die Pflicht zur Barrierefreiheit im Netz schon länger. Seit Monatsende gilt sie nun auch für Privatunternehmen.
Das Gesetz will erreichen, dass sowohl Menschen mit eingeschränktem Seh- oder Hörvermögen als auch solche mit motorischen Einschränkungen oder kognitiven Beeinträchtigungen alle Inhalte erfassen und die Website bedienen können. „Ziel ist es, Menschen mit Behinderungen ihr Recht auf Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu stärken und der Harmonisierung des Binnenmarktes Rechnung zu tragen“, heißt es in Paragraf 1 des BFSG.
Ist Ihre Praxis-Webseite barrierefrei?
7 % – Ja, darum habe ich mich direkt gekümmert.
19 % – Noch nicht, ist aber in Arbeit.
26 % – Keine Ahnung, damit habe ich mich noch nicht beschäftigt.
48 % – Nein, schon wieder eine neue Regelung? Bitte nicht.
Laut der Inklusions-Organisation „Aktion Mensch“ ist dies auch dringend nötig: Sie hat in einer gemeinsamen Studie mit Google ermittelt, dass beispielsweise zwei Drittel der großen deutschen Webshops bisher nicht barrierefrei sind. Doch was bedeutet das Gesetz konkret für Arztpraxen und Medizinische Versorgungszentren? Wir zeigen auf, was auf die Ärztinnen und Ärzte zukommt.
Betroffen sind Arztpraxen mit mindestens zehn Mitarbeitern oder einem Jahresumsatz von mindestens zwei Millionen Euro; angesprochen fühlen sollten sich also in erster Linie größere Praxen oder MVZ.
Aber: „Auch diejenigen, die ihren Patienten digitale Angebote machen wie Terminbuchungstools oder Kontaktformulare, fallen unter die Regelung“, sagt Elisabeth Poppitz, Online-Marketing Managerin bei der Münchener Praxismarketingagentur docleads. „Also nahezu alle.“
Digitale Barrieren seien nicht immer sofort ersichtlich, können aber in nahezu jeder Situation auftreten, heißt es beim Bundesbeauftragten für Informationstechnik. Sie beschränkten sich dabei nicht auf eine bestimmte soziale Gruppe. „Digitale Barrieren werden durch den demografischen Wandel, der zunehmenden Globalisierung sowie Personen, bei denen aufgrund von Verletzungen oder Krankheiten eine vorübergehende Beeinträchtigung vorliegt, beeinflusst.“ Auch Menschen mit gering ausgeprägter Technik-Kompetenzen stießen schnell auf diese Hürden.
Dr. Martin Jäger, Rechtsanwalt bei der Wirtschaftskanzlei Taylor Wessing, macht darauf aufmerksam, dass die Regelung alle ärztlichen Dienstleistungen betrifft, die auf elektronischem Wege angeboten werden: Also auch Videosprechstunden oder das Kontaktformular auf der Website. Die Grundlage dafür legt Paragraf 1, Absatz 3, Nr. 5. Sobald ein Behandlungsvertrag zwischen Arzt und Patient geschlossen wird oder die Kontaktaufnahme im Hinblick auf den Abschluss eines Behandlungsvertrages vorgenommen wird, greift das BfSG. Nicht aber, wenn der Patient lediglich eine Information einholt, zu Praxisöffnungszeiten oder Ähnlichem.
Die Anforderungen des BFSG orientieren sich an internationalen Standards wie den Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) 2.1, Level AA. Einzelheiten sind in der Europäischen Norm EN 301 549 festgelegt. Sie definiert die Anforderungen an die Barrierefreiheit der Informations- und Kommunikationstechnik. Die Internetauftritte der Praxen sollen künftig unter anderem folgende Kriterien erfüllen:
Wie lange eine entsprechende Anpassung der Website an die neuen Vorgaben dauert, hängt von Umfang und Größe der jeweiligen Seite und auch von deren Zustand ab. Danach richten sich auch die Kosten für die Dienstleister.
Barrierefreiheit geht mit zahlreichen Vorteilen einher – nicht nur für Menschen mit Einschränkungen. So können etwa auch ältere Patienten, Menschen mit geringen Technikkenntnissen oder mobile Nutzer mit eingeschränkter Gerätesteuerung von klar strukturierten und leicht bedienbaren Websites profitieren. „Barrierefreiheit führt zu einer verbesserten Nutzererfahrung“, sagt Poppitz. Auch für Google ist das ein Pluspunkt: Barrierefreiheit und Suchmaschinenoptimierung (SEO) folgen ähnlichen Prinzipien. Strukturierte Inhalte, mobile Optimierung, schnelle Ladezeiten und gut lesbare Texte führen zu besserer Sichtbarkeit im Netz. Eine barrierefreie Homepage kann sich positiv auf die Auffindbarkeit auswirken. Darüber hinaus können Praxen ihr Image als moderne, inklusive und patientenorientierte Einrichtung stärken.
Übergangsfristen für Websites sind im Gesetz ausdrücklich nicht vorgesehen, der Stichtag 28. Juni ist also bindend. Werden die Vorgaben nicht erfüllt, drohen Bußgelder bis zu 10.000 Euro. Laut Paragraf 20 BFSG sind die Länder für die Überwachung der Einhaltung der Vorgaben zuständig. Zentraler Ansprechpartner ist die „Marktüberwachungsstelle der Länder für die Barrierefreiheit von Produkten und Dienstleistungen“ (MLBF). Die Stellen haben den gesetzlichen Auftrag, die Einhaltung der Vorgaben durch regelmäßige Stichproben zu überprüfen.
Beschwerden könnten aber auch von Wettbewerbern oder Patienten mit Einschränkungen kommen, die sich auf einer Website nicht zurechtfinden. Docleads-Geschäftsführer Markus Reif vermutet, dass es künftig Rechtsanwälte geben könnte, die explizit Praxis-Websites auf Barrierefreiheit screenen – und entsprechend Abmahnungen verschicken. Dies sei rund um das Inkrafttreten der DSGVO auch so gewesen. „Praxisbetreiber sollten das Thema auf jeden Fall auf dem Schirm haben und sich jemanden suchen, der die Vorgaben für sie umsetzt“, so Reif.
Eine spannende Frage ist der Umgang mit Fremdtools auf der Website, beispielsweise zur Terminbuchung wie vom Software-Haus Doctolib. Gemäß § 1 Absatz 4 Nr. 4 BFSG (Ausnahmetatbestand) gilt das Gesetz nicht für die „Inhalte von Dritten, die von dem betreffenden Wirtschaftsakteur weder finanziert noch entwickelt werden noch dessen Kontrolle unterliegen.“
Heißt also: Ärztinnen und Ärzte müssten sich um die Barrierefreiheit dieser Tools nicht kümmern. Auch ein Link zum Anbieter sei nicht notwendig, sagt Jurist Martin Jäger. Aber: „Die Ausnahme gilt nicht, wenn das Terminbuchungstool von der Arztpraxis eigens entwickelt oder mit einem Drittanbieter entwickelt, finanziert oder kontrolliert wird.“ Doctolib betont auf Anfrage der Ärzte Zeitung, die Konformität nach EN 301 549 bis zum 28. Juni anzustreben.
Markus Reif schätzt, dass sich gerade einmal fünf Prozent der Arztpraxen auf das BFSG vorbereitet haben, der große Rest nicht. Seine Erklärung: „Aus ärztlicher Sicht ist die Thematik sehr weit weg von dem, was sie sonst tun.“
Susanne Müller, Geschäftsführerin beim Bundesverband Medizinischer Versorgungszentren (BMVZ) sieht das ähnlich: „Das Thema überrollt die Branche ähnlich wie 2018 die DSGVO. Obwohl Vorgaben und Fristen seit vier Jahren bekannt sind, sind plötzlich alle überrascht. Das auch, weil von den Branchenverbänden nicht frühzeitig informiert wurde. Das ist bei den MVZ nicht viel anders als bei den Praxen. Wir selbst lenken seit gut einem halben Jahr Aufmerksamkeit auf das Thema. Die Resonanz ist zumeist erst einmal ein großes Erschrecken.“ Anderseits finde man inzwischen bereits eine ganze Reihe von MVZ-Homepages, die über eine Barrierefreiheitserklärung verfügen.
Anlage 3 zu Paragraf 14 BFSG schreibt eine Barrierefreiheitserklärung vor und macht konkrete Angaben dazu, was diese beinhalten muss. Sie muss gut auffindbar sein, dafür kann sie auf der Website im gleichen Bereich wie die Allgemeinen Geschäftsbedingungen und die DSGVO-Erklärung stehen – und sollte selbstverständlich ebenfalls barrierefrei sein.
„An dieser Stelle macht es Sinn, darauf hinzuweisen, dass man gemäß Paragraf 1 Abs. 4 Nr. 4 beispielsweise für die Barrierefreiheit von Drittanbietern wie Doctolib nicht verantwortlich ist“, sagt Jäger. Für Praxisinhaber, die die Barrierefreiheit ihrer Homepage testen möchte, bietet Aktion Mensch eine Übersicht geeigneter Tools: https://go.sn.pub/46fyz2
Quelle: www.aerztezeitung.de
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