Kein Bilderbuchstart für das E-Rezept

 

Beim Roll-out des E-Rezeptes ruckelt es wieder einmal. Kurz vor dem Start in Schleswig-Holstein ist die dortige KV Ende August vorläufig ausgestiegen – ihre favorisierte Lösung für Verordner missfiel den Datenschützern. Zahnärzte im Norden betrifft das nicht. In Westfalen-Lippe ging es derweilen geschmeidiger los mit der E-Verordnung. Ein Selbstläufer ist das E-Rezept allerdings auch für Vertragszahnarztpraxen nicht – und zwar bundesweit.

Stapellauf mit Hindernissen: Zum 1. September ist tatsächlich der Startschuss für das elektronische Rezept gefallen – und zwar in den beiden Pilotregionen Westfalen-Lippe und Schleswig-Holstein. Hier sollen nun Arzt- und Zahnarztpraxen sowie Krankenhäuser demonstrieren, wie effizient und kostensparend das E-Rezept ist – für Praxen, Kliniken, Apotheken und Patienten. Wie öfter bei Großprojekten zur Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens kam dann aber Ende August der große Knall: Die Kassenärztliche Vereinigung Schleswig-Holstein (KVSH) teilte mit, aus dem Roll-out des E-Rezeptes auszusteigen – zumindest vorläufig.

Die KVSH hatte sich anscheinend zu sehr auf den Komfort für die rezeptierenden Praxen fokussiert, aber dennoch vorsichtshalber die Einschätzung des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz (ULD) in Kiel eingeholt. Dieses kam zu der Einschätzung, dass die von einem Praxisverwaltungssystem-Anbieter propagierte Erzeugung datenloser Transfer-QR-Codes als Gesundheitsdaten einzustufen seien und dieser Weg nicht den Datenschutzanforderungen entspreche. Die KVSH musste also die Notbremse ziehen, da besagtes PVS in Arztpraxen in Schleswig-Holstein anscheinend weit verbreitet ist und sie nur auf diesen Weg zum Ausstellen der E-Rezepte gesetzt hatte.


Zahnärzte im Norden nicht betroffen

„An den Rahmenbedingungen, unter denen das E-Rezept in den Regionen Schleswig-Holstein und Westfalen-Lippe eingeführt werden sollte, hat sich nichts geändert“, stellte dann auch Ende August Dr. Karl-Georg Pochhammer, stellvertretender Vorsitzender der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV), in einem Pressestatement klar. „Es gab und gibt die E-Rezept-App der gematik und den Ausdruck des E-Rezepts als sichere Übertragungswege für den E-Rezept-Token. Beide Wege sind mit dem Bundesbeauftragten für Datenschutz abgestimmt“, ergänzte er.

Die ULD-Intervention sei kein Grund, das Projekt zu stoppen. Zufrieden sind die Zahnärzte trotzdem nicht mit den bestehenden Rahmenbedingungen für das E-Rezept im zahnärztlichen Versorgungsalltag. Pochhammer nimmt klar die gesundheitspolitischen und gesetzgeberischen Akteure in die Pflicht: „Wir verstehen den Wunsch nach einfachen digitalen Alternativen zum Tokenausdruck. Deshalb setzen wir uns für den Einsatz der elektronischen Gesundheitskarte in der Apotheke als zusätzliche digitale Variante, die ohne Ausdruck und App auskommt, ein. Hier müssen gematik und Bundesgesundheitsministerium zeitnah eine Lösung liefern.“

Der Tokenausdruck sei als Alternative für alle Fälle, in denen rein digitale Wege nicht möglich oder vom Patienten nicht gewollt sind, konzipiert und auch notwendig. „Als Standardweg des E-Rezepts sollte er auf Dauer nicht dienen“, unterstreicht Pochhammer. Daher befürworte man zusätzliche digitale Lösungen – der Versand per ungeschützter E-Mail sei jedoch keine Option.

 

Druck auf Politik auch aus Westfalen-Lippe

Verwundert über die völlig überraschend von der KVSH verkündete Entscheidung zum vorläufigen Roll-out-Rückzug zeigte sich auch Michael Evelt, stellvertretender Vorsitzender der KZV Westfalen-Lippe, der auf die bereits lange im Voraus konsentierten rechtlichen Leitplanken für das E-Rezept seitens der gematik und damit der Betriebsgesellschaft der Telematikinfrastruktur (TI), über die die E-Rezepte abzuwickeln sind, hinweist. „Die E-Mail war als sicherer Einlöseweg kein Bestandteil der gematik-Spezifikationen für das E-Rezept“, so Evelt. In einer Pressemitteilung kann sich die KZVWL den Hinweis nicht verkneifen, dass „ein (!) Hersteller ärztlicher Primärsysteme seinen Kunden eine individuelle Lösung bereitgestellt“ habe. „In zahnärztlichen Praxisverwaltungssystemen spielt diese Variante keine Rolle“, beugt Evelt eventuell gehegten Zweifeln kategorisch vor.

Zahnarztpraxen könnten darauf vertrauen, dass sie das E-Rezept sicher abgeben, wenn sie den Token für ihre Patienten in der Praxis ausdrucken. Eine andere sicherere und digitale Alternative sei aktuell die Verwendung der E-Rezept-App der gematik durch die Patienten selbst.
Im Schulterschluss mit seinem KZVSH-Kollegen Pochhamer positioniert er die in den beiden Pilotregionen teilnehmenden Zahnarztpraxen im rechten Licht: „Die sicheren Einlösewege für das E-Rezept sind allen Beteiligten lange bekannt. Für uns hat sich an den Rahmenbedingungen daher nichts geändert. Von gematik und BMG erwarten wir, dass das E-Rezept zeitnah und sicher mit der elektronischen Gesundheitskarte in der Apotheke eingelöst werden kann.“

 

Erste Schubwirkung erkennbar

In der Tat scheint der Roll-out-Start schon eine zumindest kleine Schubwirkung für das E-Rezept gehabt zu haben. Denn laut TI-Dashboard der gematik wurden seit dem Start der Testphase des E-Rezeptes im März dieses Jahres rund 242.000 E-Rezepte ausgestellt – mehr als 40.000 davon allein nach dem Startschuss für die beiden Pilotregionen zum 1. September. Über die Provenienz der E-Rezepte sagt das Monitoringsystem der gematik allerdings nichts aus, sodass der Anteil der Zahnärzteschaft an den verordneten und auch eingelösten E-Rezepten nicht öffentlich ersichtlich ist.

 

Rund 11.000 Apotheken E-Rezept-ready

Wie die ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände kurz vor dem Roll-out verlauten ließ, seien auch knapp 11.000 Apotheker bundesweit bereits auf das Bedienen der E-Rezepte vorbereitet. Die Vorbereitung ging aber – wie bei den Zahnarztpraxen auch – nicht spurlos an den Offizininhabern vorbei, wie ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening anmerkt. Die technischen, personellen und organisatorischen Herausforderungen hätten viele Apotheken an die Grenzen der Belastbarkeit gebracht. „Deshalb kommt es nun darauf an, dass alle Beteiligten gemeinsam daran arbeiten, dass das E-Rezept verlässlich im Versorgungsalltag ankommt“, postuliert Overwiening.

Zwar wird das Ansinnen verfolgt, Patientinnen und Patienten das E-Rezept bis Ende nächsten Jahres flächendeckend in Deutschland anzudienen. Ob das gelingt, steht allerdings noch in den Sternen. Denn: Für die stufenweise und steigende Verbreitung des E-Rezepts wurden laut gematik für die ersten beiden Regionen Schleswig-Holstein und Westfalen-Lippe drei Erfolgskriterien beschlossen. „Diese beinhalten, dass von der Gesamtzahl aller Verordnungen verschreibungspflichtiger Arzneimittel in jeweils beiden Gebieten 25 Prozent als E-Rezepte ausgestellt werden müssen“, so die gematik. Außerdem müsse gewährleistet sein, dass die Patienten dort über das E-Rezept informiert wurden. Die Quote von Patienten, die aufgrund von Fehlern beim E-Rezept zur Praxis zurückkehren mussten, um sich ein Muster 16 Formular als Ersatz geben zu lassen, müsse ferner unter drei Prozent liegen.

Sobald die Erfolgskriterien in diesen Regionen erreicht worden seien, schließe sich die nächste Stufe in noch zu benennenden sechs Regionen an. Schließlich folgten die weiteren, ebenfalls noch ausstehenden Bundesländer.

 

Praxischefs müssen nicht auf Startschuss in ihrer Region warten

Wie die gematik aber zusätzlich klarstellt, könnten und sollten Praxen und Kliniken bundesweit schon jetzt auf das E-Rezept umstellen und frühzeitig Erfahrungen mit dem neuen Prozess sammeln, sie müssten nicht auf den offiziellen Start in ihrer Region warten.
„Ich freue mich sehr, dass wir mit der Anbindung der Apotheken eine weitere wichtige Hürde nehmen, um den Menschen das E-Rezept zugänglich zu machen. Durch dieses künftig flächendeckende Angebot werden nun auch viele Praxen vollständig auf das E-Rezept umsteigen, da gesetzlich versicherte Bürgerinnen und Bürger ihre E-Rezepte dann überall problemlos einlösen können“, erläutert gematik-CEO Dr. Markus Leyck Dieken in diesem Zusammenhang.

 

Das technische Equipment muss stimmen

Die KZVSH weist bei aller E-Rezept-Euphorie darauf hin, dass die Ausstellung der elektronischen Verordnungen in den deutschen Vertragszahnarztpraxen kein Selbstläufer sei. „Bitte informieren Sie sich unbedingt beim Hersteller Ihres Praxisverwaltungssystems (PVS), ob die E-Rezept-Funktionalität in Ihrem PVS bereits zur Verfügung steht und wie in Ihrer Software E-Rezepte erstellt werden!“, heißt es auf deren Website.

Neben einer funktionierenden TI-Anbindung benötigen Zahnarztpraxen insbesondere einen elektronischen Heilberufsausweis (eHBA) für die elektronische Signatur. Der eHBA müsse dabei nicht nur physisch vorhanden und gültig, sondern auch aktiviert und freigeschaltet und gegebenenfalls entsprechend der Vorgabe des PVS-Herstellers in der verwendeten Praxissoftware eingerichtet sein. Wolle die Praxis die optionale Komfortsignatur nutzen, werde ein eHBA der 2. Generation benötigt.
Weiterhin benötige die Praxis ein Konnektor-Update auf mindestens PTV4 bzw. PTV4+, wenn sie die Komfortsignatur nutzen möchte, sowie einen Drucker zum Ausdrucken der Token mit einer Mindestauflösung von 300 dpi. Optional sei ein zweites Kartenterminal, wenn die Praxis für die elektronischen Signaturen nicht das Kartenterminal am Empfang nutzen bzw. dieses entlasten möchte.

 

Zahnarztpraxen erhalten Erstattungspauschalen

Gemäß der Pauschalenvereinbarung nach Anlage 11a zum Bundesmantelvertrag Zahnärzte (BMV-Z) erhalten Praxen für die Implementierung der Anwendung E-Rezept einmalig einen Betrag von 120 Euro, wie die KZVSH weiter ausführt. Zudem sei ab Nachweis des Vorhaltens der E-Rezept-Komponenten eine monatliche Betriebskostenpauschale in Höhe von 33 Cent vorgesehen. In Schleswig-Holstein zum Beispiel könnten Praxen die Erstattungspauschalen im Serviceportal der KZVSH beantragen.

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