
Zeitfresser Bürokratie: Frust in Praxen über TI, Kassen, aber auch KZVen
Kassenzahnärztinnen und -zahnärzte sind sich dessen bewusst, dass mit der Versorgung zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) auch Pflichten verbunden sind – diese finden unter anderem ihren Niederschlag in den Vorgaben des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) in puncto Qualitätssicherung oder auch Hygienevorschriften. Auch sind sie offen für die Chancen, die die Digitalisierung für den ambulanten, zahnmedizinischen Versorgungsalltag bietet. Das alles ist im Umkehrschluss auch mit Verwaltungsaufwand verbunden – im Fachjargon Bürokratie in der Praxis genannt. Soweit, so gut.
Zu knabbern haben Vertragszahnärzte im Moment aber vor allem an der Umsetzung der großen gesundheitspolitischen Digitalthemen wie Telematikinfrastruktur, elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) oder elektronisches Rezept (eRezept). Hier hat der Wechsel an der Spitze des Bundesgesundheitsministeriums von Jens Spahn auf Karl Lauterbach keinerlei Ruhe ins System gebracht. Technische Störungen im TI-Setting oder der Ein- und Wiederausstieg aus dem Roll-out des eRezeptes versetzen nicht nur die Vertragszahnärzte selbst, sondern auch deren Mitarbeiter in einen dauerhaften Hü-und-Hott-Modus, der vor allem Zeit für die Versorgung der Patienten raubt, wie eine Online-Umfrage der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV) von Ende September bis Mitte Oktober ergab, an der sich bundesweit 2347 Einzelpraxen, BAG und MVZ beteiligt hatten.
Beschluss der KZBV-VV zum Bürokratieabbau in Praxen
„Gemeinsam Bürokratie abbauen!“ – so lautet der Beschluss, den die 13. KZBV-Vertreterversammlung Ende November in München angenommen hat. „Die Vertreterversammlung nimmt die vom Vorstand vorgelegten Ergebnisse der Umfrage der KZBV unter Vertragszahnärztinnen und Vertragszahnärzten zur Bürokratiebelastung in Zahnarztpraxen zur Kenntnis und beauftragt den Vorstand, auf Basis der Ergebnisse konkrete Vorschläge zum Bürokratieabbau auszuarbeiten“, heißt es dazu seitens der KZBV.
Zwar spielten auch die mit der Bürokratie verbundenen Kosten eine Rolle. Viel mehr als die monetäre scheine jedoch die zeitliche Dimension die zentrale Quelle des empfundenen Frusts zu sein, lässt sich aus der Auswertung der Umfrageergebnisse herauslesen. „Es zeichnet sich das Bild einer Zahnärzteschaft, deren Hauptmotivation die Arbeit mit Patienten und die medizinische Versorgung von Patienten auf hohem Niveau ist. Die wesentliche Belastung entsteht durch das Gefühl, die Behandlungszeit an den und für die Patienten einschränken zu müssen aufgrund des zunehmenden und in den letzten Jahren stetig anwachsenden Zeitkontingents, das für die Bewältigung von bürokratischem Aufwand alloziert werden muss“, so die KZBV.
Die Umfrage gibt einen tiefen und facettenreichen Einblick in die Arbeitszeit, die im Durchschnitt über alle antwortenden Praxen hinweg auf die Beschäftigten in den Einrichtungen in puncto Bürokratie entfallen – im Falle der Zahnärztinnen und Zahnärzte sind dies im Schnitt in der Praxis pro Woche rund 10 Stunden Arbeitszeit. Bei den Praxismitarbeiterinnen und -mitarbeitern sind es sogar 14 Stunden und 30 Minuten. In Summe ergibt sich daraus, wie die KZBV vorrechnet, ein gesamter durchschnittlicher Bürokratieaufwand je Praxis von 24 Stunden und 30 Minuten pro Woche, wovon 40,8 Prozent auf die Zahnärzte und 59,2 Prozent auf die Mitarbeiter entfielen.
Pro Kopf maximal vier Stunden die Woche im Schnitt
Breche man diesen Wert auf die verschiedenen Köpfe im gesamten Praxisteam herunter, so macht die KZBV folgende Rechnung auf: „Nur bezogen auf die Zahnärztinnen und Zahnärzte liegt der Aufwand pro Person bei 6 Stunden pro Woche, bei den Praxismitarbeiterinnen und -mitarbeitern hingegen nur bei 2 Stunden und 30 Minuten pro Woche. Somit ist der Aufwand der Praxismitarbeiterinnen und -mitarbeiter in einer Praxis zwar absolut höher, verteilt sich aber auf mehr Personen. Im Durchschnitt über alle Praxen und Personengruppen liegt der Bürokratieaufwand pro tätige Person bei 3 Stunden und 36 Minuten pro Woche. Über alle in Praxen Tätigen wird der zeitliche Aufwand für Bürokratie in den neuen Bundesländern mit 3 Stunden und 45 Minuten pro Woche und Person geringfügig höher eingeschätzt als in den alten Bundesländern mit 3 Stunden und 34 Minuten pro Woche und Person.“ Zudem lägen Einzelpraxen mit 3 Stunden und 45 Minuten pro Person und Woche höher als BAG (3 Stunden) und MVZ (1 Stunde und 49 Minuten).
Zehn Themenfelder im Fokus
Die KZBV hat über zehn Themenfelder hinweg jeweils die Belastungsintensität und den Zeitaufwand abgefragt. Wenig verwunderlich: Aufgaben, die als sehr störend empfunden werden, erfordern in der Regel auch einen großen Zeitaufwand. „Insgesamt liegen die alten und neuen Bundesländer sowie die einzelnen Praxisformen in ihrer Einschätzung durchschnittlich nicht sehr weit auseinander, die bestehenden Unterschiede liegen in der Regel unterhalb von einem Punkt“, heißt es ergänzend.
Im Durchschnitt über alle antwortenden Praxen wird dem Themengebiet „Zulassung/ Fortbildung“ mit 2,9 Punkten die niedrigste Belastungsintensität zugeordnet. Auch im Durchschnitt über die alten (2,8) bzw. neuen Bundesländer (2,9) liegt die Belastungsintensität bei diesem Thema am niedrigsten. Bei Betrachtung der einzelnen Praxisformen liegt dieses Thema ebenfalls auf dem letzten Rang der Belastungsintensität.
Auf der anderen Seite des Spektrums liegt das Thema „Telematik/EDV-Technik“, das sowohl im Bundesdurchschnitt (6,2) als auch in den alten (6,1) und neuen Bundesländern (6,3) die höchste Belastungsintensität zugeordnet bekommt. Sie liegt dabei recht nah am Maximum von 7 Punkten. Hier sind die MVZ die einzige Praxisform, die andere Themengebiete auf einer höheren Position in Bezug auf die Belastungsintensität einordnet: Das Thema „Qualität/ Qualitätsmanagement“ bekommt von MVZ durchschnittlich eine Belastungsintensität von 6,0 zugeordnet, auf dem zweiten Rang liegt das Thema „Hygienevorschriften“ mit einer durchschnittlichen Belastungsintensität von 5,8, während „Telematik/EDV-Technik“ mit 5,2 nur den dritten Rang einnimmt. Über alle Praxisformen hinweg nehmen die Themen „Qualität/Qualitätsmanagement“ und „Hygienevorschriften“ hingegen mit durchschnittlich jeweils 5,8 Punkten nur die Plätze 2 und 3 ein. Auch bei isolierter Betrachtung der alten und neuen Bundesländer bzw. der Praxisformen Einzelpraxis und BAG liegen diese beiden Themen in wechselnder Reihenfolge auf dem zweiten und dritten Rang.
Zahnärzte äußern konkrete Änderungswünsche
Als die fünf Hauptfelder der immer weiter ausufernden Bürokratie in Praxen benennen die Umfrageteilnehmer die Telematik, die Krankenkassen, die Digitalisierung, die Dokumentation sowie das Qualitätsmanagement (QM). In einem Freitextfeld konnten die Umfrageteilnehmer dann ihren Unmut konkretisieren und der KZBV konkrete Lösungsvorschläge unterbreiten. Davon wurde auch rege Gebrauch gemacht:
Telematikinfrastruktur (TI): „Allgemein werden die Erneuerungen als nicht zu Ende gedacht, nicht richtig funktionsfähig oder nicht ausgereift angesehen. Dies spiegelt sich auch wider in der Fehleranfälligkeit der Komponenten (z. B. nicht funktionierende Konnektoren oder Abstürze der Software). Es wird empfunden, dass im Rahmen der Umstellung gesetzliche Vorgaben nicht konform mit der Umsetzung bei den PV-Anbietern, Krankenkassen und Praxen laufen“, so die KZBV. Es zeige sich dabei eine Unzufriedenheit beim Nutzen im Verhältnis zum Aufwand. Vielen Praxen erschienen die Änderungen als zu umständlich bzw. auch als zu kompliziert, wodurch die Belastung und der Zeitaufwand sehr hoch wirkten. In diesem Zusammenhang werde angeprangert, dass die Erstattungen bei der Telematik nicht den tatsächlichen Kosten der Praxis entsprächen.
Die Verbesserungsvorschläge zur Telematik reichten von der drastischen Maßnahme der Abschaffung zu gemäßigteren Anpassungen. Deutlich werde, dass eine Entlastung der Praxen erfolgen solle – beispielsweise durch eine zentrale Kostenübernahme der benötigten Geräte und Software seitens der Krankenkassen oder ein verstärktes Einbringen der jeweils zuständigen KZVen bezüglich der Einführung, Installation und Umsetzung der Telematik. Auch ein praktikabler Datenschutz werde gewünscht, wodurch auch stärker App- und cloudbasierte Lösungen implementiert werden könnten. „Zu guter Letzt wünschen sich viele einfach eine bessere Prüfung der Technik vor der Einführung“, heißt es weiter.
Krankenkassen: Zahnärzte bemängeln hier die Kommunikation mit den Krankenkassen sowie die Kommunikation der Kassen mit den Patienten. Einerseits verhindere der Datenschutz zum Teil einen einfacheren Austausch mit den Kassen – beispielsweise könnten die Heilkostenpläne aus Datenschutzgründen nicht über KIM gesendet werden oder verschickte Unterlagen kämen nicht bei der Kasse an –, zum anderen würden kassenseitig zu viele Informationen, wie Dokumente oder Stellungnahmen, gefordert. Die Informationen und Aufklärungen, die Patienten von den Krankenkassen erhielten, werden als teilweise unvollständig oder sogar fehlerhaft angesehen. „Praxen empfinden, dass das Praxispersonal die mangelhafte Arbeit der Krankenkassen aufwändig berichtigen muss. Besonders ältere Patienten werden im Zuge der Digitalisierung inhaltlich nicht abgeholt. Die Änderungen der letzten Jahre durch die Krankenkassen und die Politik werden als hinderlich für die Abläufe der Praxis wahrgenommen, welche dadurch finanziell und arbeitstechnisch belastet werden“, so die KZBV. Als weiterer Kritikpunkt seien die unterschiedlichen Punktwerte je Krankenkasse genannt worden.
Als Verbesserungsvorschlag werde eine Verringerung der Anzahl der Krankenkassen gewünscht, wodurch einheitlichere Anforderungen erwartet würden. Allgemein gebe es einen starken Wunsch nach einer besseren Kommunikation mit den Krankenkassen. Weiter solle auch an der Digitalisierung gearbeitet werden, wodurch sich u. a. ebenfalls erhofft werde, die Kommunikation zu verbessern. Des Weiteren seien einheitliche Punktwerte ein Wunsch vieler Praxen.
Digitalisierung: Eine unausgereifte Digitalisierung wird von den Teilnehmern vor allem in den Bereichen Abrechnung, aber auch bei Anträgen und Bescheinigungen (eAU, eRezept) gesehen. Dabei sei es notwendig zu differenzieren: Bemängelt werde weniger die Forderung der Digitalisierung als deren mangelhafte Umsetzung. Die Verbesserungsvorschläge werden hier eher verklausuliert geäußert: Während einige Zahnärzte zwar generell den Sinn der umfassenden Digitalisierung in Frage stellten und forderten, die Anforderungen zu reduzieren bzw. verpflichtende Anforderungen lediglich auf neue Praxen zu beschränken, gehe es umgekehrt den meisten Teilnehmern nicht zügig bzw. konsequent genug: Vielfach werde ein Nebeneinander von analogen und digitalen Verfahren bemängelt und die vollständige Durchsetzung der Digitalisierung und damit die Überflüssigmachung analoger Reste angemahnt. „Versäumnisse bzw. Nachholbedarf sehen die Teilnehmer oftmals eher auf Seiten von KZVen und GKV“, stellt die KZBV heraus. Kritisiert würden allerdings auch übermäßig restriktive rechtliche Vorgaben beim Datenschutz, die aus Sicht der Zahnärzte eine zeitgemäße Digitalisierung im Gesundheitswesen, wie sie teilweise bereits im europäischen Ausland praktiziert werde, verhindern.
Dokumentation: Vor allem in den Bereichen Hygiene und QM, aber auch bei der Abrechnung, Arbeitsschutz, Arbeitsrecht würden überbordende Dokumentationspflichten genannt und beklagt. Ein aktuelles Thema, was in diesem Bereich von vielen Zahnärzten genannt worden sei, betreffe die im Rahmen der Corona-Pandemie notwendigen Dokumentationen. „Als Verbesserungsvorschlag wurde am häufigsten die Abschaffung bzw. Reduzierung der Pflichten gefordert. Eine Mindestanforderung läge für viele Zahnärzte darin, die Dokumentationspflichten auf den Status Quo zu beschränken und jegliche zusätzliche Ausweitung zu verhindern. Zahlreiche Teilnehmer stellten die Frage, ob nicht eine problemorientierte Dokumentation bzw. Negativdokumentation beispielsweise in den Bereichen Hygiene oder QM ausreiche“, heißt es in der Umfrageauswertung. Des Weiteren sei vielfach gefordert worden, redundante bzw. doppelte Dokumentationsanforderungen abzuschaffen.
Qualitätsmanagement: Die in puncto QM am meisten genannten Bürokratieaufwände umfassten Vorschriften im Bereich Hygiene, die Dokumentation von Abläufen und Prozessen mitsamt Prüfungen und Validierungen sowie allgemein ein als überbordend empfundener bürokratischer Dokumentationsaufwand, der Zahnarztpraxen Krankenhäusern gleichsetze.
Folgerichtig werde als Verbesserungsvorschlag am häufigsten die Abschaffung dieser Anforderungen genannt. Im Detail werde des Weiteren gefordert, die bestehenden Systeme für kleine Praxen zu vereinfachen bzw. das Qualitätsmanagement flexibler zu gestalten und an die Praxisgröße anzupassen. Schließlich wünschten sich auch zahlreiche Zahnärzte eine stärkere Unterstützung durch ihre KZV – zum Beispiel in Form besserer Leitfäden bzw. Softwaretools, die Zahnärzte stärker durch die einzelnen notwendigen Schritte führten.
Für Zahnärztinnen und Zahnärzte in der ambulanten Versorgung bleibt nun unter anderem die spannende Frage, wie die KZBV rasch zumindest die stark kritisierten KZVen mit ins Boot holen kann, um für etwas weniger Bürokratie in den Praxen zu sorgen. Auf gesundheitspolitischer Ebene dürfte sie weiter dicke Bretter zu bohren haben, wie die Erfahrungen aus der Vergangenheit zeigen.