Abtauchen in die „Unterwasserwelt“ – Wie ein Kinderarzt mit einem originellen Praxiskonzept Mitarbeiter anlockt

Als im Landkreis Cuxhaven immer mehr Kinder- und Jugendärzte ihre Praxis aufgeben, geht der Pädiater Michael Scheel 2023 in die Offensive: Mit viel Unternehmergeist gestaltete er seine Praxis als „Unterwasserwelt“ und kann das Personal binnen eines Jahres nahezu verfünffachen.

 

Was vor allem in ländlichen Gebieten immer mehr mit Schwierigkeiten verbunden ist, gelang Michael Scheel ziemlich gut: Ärzte und medizinische Fachangestellte aufs platte Land holen. Innerhalb eines Jahres vergrößerte der Kinderarzt aus dem niedersächsischen „Cuxland“ seine Praxis von vier auf 21 Mitarbeiter. Zu den drei bereits angestellten Ärztinnen und Ärzten werden wahrscheinlich noch mindestens zwei weitere im Laufe dieses Jahres sowie eine Psychiaterin mit ihrem Team folgen.

Und das an einem Ort mit rund 17.000 Einwohnern, auf halbem Weg zwischen Cux- und Bremerhaven sowie zehn Minuten vom nächsten Leuchtturm entfernt: Wurster Nordseeküste, Landkreis Cuxhaven. Als Leuchtturmprojekt beschreibt der Kinderarzt auch die Neugründung seiner Praxis im Sommer 2023. Zu dem Zeitpunkt ist er noch allein, hat aber bereits 600qm Räumlichkeiten angemietet – mit dem Ziel Großpraxis und mittlerweile MVZ. Und geht mit viel Unternehmergeist und Marketingbewusstsein an die Arbeit.

Unternehmergeist und Marketingbewusstsein

Scheel verfolgt eine ungewöhnliche Idee und lässt die neue Praxis komplett zu einer „Unterwasserwelt“ umbauen: Die Decken samt Beleuchtung sind so gestaltet, als befände man sich direkt unter einer schäumenden Meeresoberfläche. Die blauen Wände zieren bunte Korallen, Regenbogenfische und ein versunkenes Piratenschiff, von der Decke hängen Wale, Delfine, Schildkröten und Rochen. Im 1000-Liter-Aquarium ziehen zudem echte Fische ihre Kreise.

Den Zeitpunkt der Neugründung wählte er ganz bewusst: „Ich hatte mich bei der KV informiert, wie viele Kollegen über 60 sind. Es hat sich 2022 schon abgezeichnet, dass es schlimm wird.“ Im zweiten Halbjahr 2023 würde es fünf unbesetzte Kinderarzt-Sitze im Landkreis geben, hieß es. Fast zeitgleich stünden damit rund 4000 Familien pro Quartal im Gebiet Cuxhaven ohne pädiatrische Kapazitäten für ihren Nachwuchs da. Im benachbarten Bremerhaven würden zudem zur gleichen Zeit drei Sitze frei werden.

In einer großen Praxis mit mehreren angestellten Ärzten sieht Scheel die einzige Möglichkeit, in so einer Situation nicht unterzugehen. Andernfalls müsse er vielen Patientinnen und Patienten absagen und trotzdem „von morgens bis abends ohne Pause durcharbeiten“, um der Arbeit Herr zu werden – und auch um rentabel zu sein. Er sei sich immer sicher gewesen, dass das mit dem richtigen Plan schon klappen würde. Eine einfache Stellenanzeige würde jedoch nicht reichen, so Scheel, „vor allem, wenn man qualitativ hochwertiges Personal haben möchte.“

Groß denken lohnt sich.
Es klingt riskant, das ist es aber nicht.

Michael Scheel, Kinderarzt aus Cuxhaven

Seine These: Mit einem Leuchtturmprojekt ließen sich Ärzte in den Landkreis Cuxhaven locken, dem Gebiet mit der laut KV Niedersachsen niedrigsten ärztlichen Versorgung im Bundesland. „Alle sprechen von Fachkräftemangel, aber es gibt genug Fachkräfte. Die sind nur nicht arbeitslos, sondern arbeiten woanders. Darum müssen wir mit unserem neuen Praxiskonzept so interessant sein, dass diese Fachkräfte ihren Arbeitsplatz freiwillig kündigen und zu uns wechseln wollen.“

Die Unterwasser-Praxis und seine Arbeit präsentiert er auf der Praxis-Website und verschiedenen Social-Media-Kanälen. Regionalzeitungen, Sat1 und der NDR berichten. Dann schaltete er Anzeigen bei einschlägigen Fachmedien und auf Social Media und dreht dafür auch kurze Video-Clips.

Meine Theorie hat also funktioniert

„Ich habe immer aus Spaß gesagt, ich muss den latent unzufriedenen Oberarzt aus München auf uns aufmerksam machen. Wenn der sich im Nachtdienst überlegt, ob das schon alles ist, muss der halt wissen, dass es uns gibt und dass wir richtig gut sind. Und, tja – mein Kardiologe ist ehemaliger Funktionsoberarzt aus dem Kinderherz-Zentrum in München. Meine Theorie hat also funktioniert“, erzählt Scheel. Der pädiatrische Kardiologe Josef Auer zog im Sommer 2024 mit seiner Familie von Bayern an die Nordseeküste. Er war über ein Ärzte-Stellenportal auf die Praxis im Cuxland gestoßen und hatte sich dann aber über Instagram und die Website näher informiert.

Einige Monate zuvor war bereits ein anderer Kinderarzt, Thomas Lunden, über eine Art Social-Media-Mundpropaganda auf ihn aufmerksam geworden und hatte sich beworben. Die Suche nach MFA läuft hingegen vorwiegend über Facebook. „Wir suchen nonstop. Wenn wir eine Kampagne starten, erhalten wir zu Beginn 30-50 Bewerbungen pro Woche und wenn diese länger läuft, dann noch 3-5 pro Woche.“

Doch es geht Michael Scheel um mehr als nur schön gestaltete Räume. Hinter den Kulissen arbeitet er mit seinem Team daran, möglichst viele Bereiche der Praxisführung zu professionalisieren: „Wir ziehen die Praxis auf wie ein Wirtschaftsunternehmen. Das haben die meisten Kinderärzte oder überhaupt Ärzte noch nicht so richtig verstanden, dass wir alles Unternehmen sind.“ Ziel sei es, möglichst viele Patientinnen und Patienten mit einer hohen Frequenz in bestmöglicher medizinischer Qualität behandeln zu können, verteilt auf den Schultern mehrerer Ärztinnen und Ärzte.

Nur so sei es heute möglich, eine Kinderarztpraxis wirtschaftlich zu betreiben und ohne sich dabei kaputtzuarbeiten. Denn um schwarze Zahlen zu schreiben, so habe er ausgerechnet, dürfe er maximal nur rund sieben Minuten pro Kind aufbringen. Alles, was darüber hinaus gehe, ginge zu Lasten von Pausenzeiten und Feierabend. Eine Großpraxis jedoch habe den Vorteil, dass die anderen Kolleginnen und Kollegen gegenseitig aushelfen können, wenn mal mehr Zeit für die Untersuchung und Gespräche notwendig seien.

Vorteil Großpraxis: Wirtschaftlichkeit ohne sich kaputtzuarbeiten

Die Unterwasserwelt dient in erster Linie auch als Aushängeschild und Bildmarke und soll den Fokus von Scheel als Praxisinhaber und in der Region anerkanntem Kinderarzt schärfen. Aus der Personenmarke Michael Scheel wurde also die Kinder- und Jugendarztpraxis CUXLAND und die Unterwasserwelt soll den Familien zeigen, dass sie immer die gleiche Qualität erhalten, egal von welchem Arzt oder welcher Ärztin sie behandelt werden. Die Notwendigkeit von Marketing und insbesondere positiver Google-Bewertungen, betont Scheel, sei etwas, das viele Ärzte noch nicht wichtig genug nähmen, weil es mehr Patienten gebe, als sie behandeln können.

Wenn er aber für seine Praxis erst einmal den Aufnahmestopp aufheben würde, den er zu Beginn erlassen musste, bis er genügend Mitarbeiter angeworben und eingearbeitet hätte, so ist sich Scheel sicher, könnte sich die Sichtweise der anderen niedergelassenen Ärzte aus der Umgebung über kurz oder lang ändern. Denn haben die Familien eine Wahl, würden sie mit den Füßen entscheiden: „Patienten können die medizinische Qualität einer Behandlung meist gar nicht beurteilen. Sie hören daher auf ihr Bauchgefühl und auf Empfehlungen. Sie gehen dann nicht zu Dr. Mustermann mit einer Google-Bewertung von 3,7 und fünf Rezensionen, sondern zur Kinder- und Jugendarztpraxis CUXLAND MVZ GmbH mit einer Bewertung von 4,7 und 227 Rezensionen. Unsere Onlinepräsenz auf Google ist unser digitales Aushängeschild.“

Eine hohe Anzahl Patienten auf hohem Niveau zu behandeln in einer Praxis mit vielen Mitarbeitern, das gehe nur mit klaren Strukturen und Prozessen: Für möglichst viele Arbeitsabläufe legt das Team daher einmalig einen qualitativ hochwertigen Prozess fest. „Da steckt viel Arbeit drin, macht eine Großpraxis aber auch extrem effizient“, versichert Scheel. Er erläutert das am Beispiel EKG: Der festgelegte Prozess wird auf einem Video festgehalten, der Link dazu per QR-Code auf dem EKG-Gerät befestigt. Bei Unsicherheiten könne so jeder jederzeit schnell die richtige Handhabung nachschauen. Und die Ärzte können sich sicher sein, dass jede MFA dasselbe macht.

Delegation mit ganz viel Verantwortung

Diese Standardisierung helfe auch, alle möglichen Tätigkeiten, im Rahmen des Arztvorbehalts, an MFA und Krankenschwestern abzugeben: „Delegation ist ganz, ganz wichtig. Alles, was irgendwie geht, wird mit ganz viel Verantwortung abgeben. Es gibt auch Controlling, aber wir stehen nicht immer daneben. Sporadisch überprüfen wir, ob alles so läuft, wie wir das wollen.“ Diese Form der Wertschätzung komme bei den Mitarbeiterinnen gut an.

Quelle: www.aerztezeitung.de

Diese Inhalte könnten Sie ebenfalls interessieren:

Kostenfrei anmelden
1/4 Wählen Sie Ihre Anmeldeinformationen

Ihr Passwort muss mindestens enthalten:

8 Zeichen

Eine Zahl und einen Buchstaben

Ein Sonderzeichen

2/4 Geben Sie Ihre persönlichen Daten ein
4/4 Bestätigen

Kostenfrei anmelden

Melden Sie sich jetzt an und erhalten Sie exklusiven Zugang zu:

  • Live-Webinare und Webinar-Wiederholungen. Lernen Sie von Referenten aus der Zahnmedizin, die Experten auf Ihrem Gebiet sind.
  • Fortbildungsinhalte in einer Vielzahl von Formaten, die Ihnen helfen Ihre Fähigkeiten auszubauen und geschäftlichen Erfolg zu erzielen.
  • Unser Programm “Voice of Customer” ist maßgeblich mitverantwortlich, innovative Produkte zu entwickeln, die Ihren Bedürfnissen entsprechen
Erstellen Sie ein kostenloses Profil.
Jetzt anmelden Sie haben bereits ein Profil? Log in
Passwort vergessen?
Geben Sie Ihre E-Mail Adresse an.
Wir senden Ihnen einen Link, mit dem Sie Ihr Passwort zurücksetzen können.
Abbrechen
Abonnieren Sie unseren Newsletter