Praxismanagement
Wer eine Arztpraxis hat, beschäftigt im Regelfall auch Mitarbeiter. Doch nicht jeder gute Arzt ist automatisch auch eine geborene Führungskraft. Sich ein paar Dinge bewusst…
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Die Zusatzbeiträge einzelner gesetzlicher Kassen drohen, durch die Decke zu gehen, wenn die Bundesregierung nicht effektiv gegensteuert. Noch hat Bundesgesundheitsministerin Nina Warken keine konkreten Vorschläge zur Stabilisierung der GKV-Finanzierung abgeliefert. Der Druck seitens der Kassen, der Opposition, aber auch der Zahnärzteschaft wächst, endlich im Zuge einer Reform die milliardenschweren, jährlichen Aufwendungen für versicherungsfremde Leistungen aus Steuergeldern zu begleichen, also aus dem Bundeshaushalt.
Die Entwicklung der Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) gilt derzeit als eines der drängendsten Probleme Deutschlands – nicht nur des Gesundheitssystems. Zwar haben die 94 gesetzlichen Krankenkassen in den ersten sechs Monaten des laufenden Jahres einen Überschuss in Höhe von 2,8 Milliarden Euro erzielt, wie das Bundesgesundheitsministerium (BMG) mitteilt. Diese Überschüsse dienten jedoch, wie es weiter heißt, vorrangig der Auffüllung ihrer Finanzreserven auf das gesetzliche Mindestniveau.
Den Einnahmen der gesetzlichen Krankenkassen in Höhe von 176,8 Milliarden Euro standen Ausgaben in Höhe von 174,0 Milliarden Euro gegenüber. Die Ausgaben für Leistungen und Verwaltungskosten verzeichneten bei einem Anstieg der Versichertenzahlen von 0,1 Prozent einen Zuwachs von 7,8 Prozent. Der durchschnittlich von den Krankenkassen erhobene Zusatzbeitragssatz entsprach Ende Juni laut BMG 2,92 Prozent und lag damit deutlich oberhalb des Ende Oktober 2024 für das Jahr 2025 bekanntgegebenen durchschnittlichen Zusatzbeitragssatzes von 2,5 Prozent. Viele Kassen seien demnach gezwungen, einen höheren Zusatzbeitragssatz zu erheben, als zur Deckung der laufenden Ausgaben nötig wäre, um so ihre im vergangenen Jahr aufgrund der unerwartet hohen Ausgabendynamik stark gesunkenen Finanzreserven auf das gesetzlich vorgeschriebene Mindestniveau aufzufüllen. Befeuert wird die politische Debatte auch durch eine Untersuchung des Bundesrechnungshofes (BRH), demzufolge vor allem strukturelle Probleme der Grund für die absehbar fehlenden Finanzreserven seien.
Die von Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) eingesetzte Finanz-Kommission Gesundheit (FKG) hat sich Ende September zu ihrer konstituierenden Sitzung zusammengefunden. Unter Vorsitz von Professor Wolfgang Greiner und seinen beiden Stellvertretern Professor Ferdinand Gerlach und Professorin Leonie Sundmacher sollen die zehn Experten bis Ende März 2026 – und damit auf Warkens Bitte ein Jahr früher als im Koalitionsvertrag vorgesehen – Vorschläge unterbreiten, um die Krankenversicherungsbeiträge ab 2027 zu stabilisieren und zwar ohne Beitragserhöhungen.
Die FKG soll unter anderem die im Koalitionsvertrag geplanten Vorhaben, wie beispielsweise das Primärarztsystem sowie Notfall- und Rettungsdienstreform, auf ihre Finanzwirkung untersuchen und maßgebliche Kostentreiber in den einzelnen Leistungsbereichen identifizieren. „In welchem Umfang wird die GKV durch so genannte ‚versicherungsfremde Leistungen‘ belastet und was ist als versicherungsfremde Leistung zu betrachten? Wie und ggf. durch wen können diese alternativ transparent und dauerhaft finanziert werden (Kostenverlagerung)?“, heißt es in Warkens Arbeitsauftrag an die Kommission.
Aus Sicht vieler politischer und wirtschaftlicher Player spielen die versicherungsfremden Leistungen für Bürgergeldempfänger eine zentrale Rolle bei der Zukunftssicherung der Kassenfinanzen. Oliver Blatt, Vorstandsvorsitzender des GKV-Spitzenverbandes (GKV-SV), äußerte sich dazu im Spetember wie folgt: „Wir brauchen dringend eine saubere Abgrenzung zwischen staatlicher Daseinsvorsorge und den Aufgaben der gesetzlichen Kranken- und der sozialen Pflegeversicherung. Die Bundesregierung muss nun endlich und kurzfristig dafür sorgen, dass die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung kostendeckende Bundesmittel für die Aufgaben bekommt, die sie für den Staat übernimmt.
Insbesondere bei den Beiträgen für Bürgergeldbeziehende erleben wir, dass sich der Staat seit Jahren auf Kosten der GKV-Beitragszahlenden entlastet. Jahr für Jahr bleibt der Bund den gesetzlichen Krankenkassen hierfür rund zehn Milliarden Euro schuldig. Darunter leiden die 75 Millionen gesetzlich Versicherten und die Arbeitgebenden, denn Arbeit wird durch weiter steigende Beiträge immer teurer und das schadet der gesamten Wirtschaft. Es geht hier um Fairness und Stabilität!“
Vor diesem Hintergrund hat der Verwaltungsrat des GKV- SV am 11. September entschieden, dass der GKV-SV für alle Krankenkassen, die ihn mit der Prozessführung beauftragen, gegen die unzureichende Finanzierung der Gesundheitsversorgung von Bürgergeldbeziehenden klagt – mehr als 70 haben ihn schon beauftragt, heißt es. Die Kassen streben einen Weg durch die Instanzen bis hin zum Bundesverfassungsgericht an, falls das notwendig werde.
„Aufgrund der nicht kostendeckenden Finanzierung des Versicherungsschutzes für Bürgergeldbeziehende erfüllt die GKV im Ergebnis eine Aufgabe, die in die alleinige Verantwortung des Bundes fällt. Dies begründet einen rechtswidrigen Eingriff in das Recht der Sozialversicherungsträger zu organisatorischer und finanzieller Selbstständigkeit aus Art. 87 Abs. 2 GG (in Verbindung mit Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG). Zugleich liegt ein Verstoß gegen die strenge Zweckbindung von Sozialversicherungsbeiträgen vor, die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht zur Finanzierung gesamtgesellschaftlicher Aufgaben verwendet werden dürfen“, ließ der GKV-SV dazu verlautbaren. Ergänzend hieß es, Klagegegenstand seien die im Herbst 2025 ergehenden Zuweisungsbescheide des Bundesamts für Soziale Sicherung (BAS) aus dem Gesundheitsfonds für das Jahr 2026. Beklagte sei die Bundesrepublik Deutschland, die durch das BAS vertreten werde. Erstinstanzlich zuständig für die Verfahren sei das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (§ 29 Absatz 3 Nr. 1 SGG).
Warken will die Diskussion nicht auf die versicherungsfremden Leistungen beschränkt wissen – oder vielleicht sogar etwas von diesem Thema ablenken –, indem sie der FKG keine Denkverbote erteilte: „Die Aufgaben der Kommission könnten kaum größer sein – die Finanzen der gesetzlichen Krankenversicherung befinden sich in einer massiven Schieflage. Wir brauchen Reformen, die bis Ende des kommenden Jahres ein Defizit in zweistelliger Milliardenhöhe ausgleichen und anschließend das gesamte System nachhaltig wieder auf ein solides Fundament setzen. Die Grundlage dafür wird die Kommission erarbeiten – unabhängig und mit dem notwendigen Freiraum, das gesamte System auf den Prüfstand zu stellen. Explizit wird die Kommission nicht durch Vorfestlegungen in ihrem Denken beschränkt. Die kommenden Monate sind eine Chance, die wesentlichen Säulen unseres Sozialversicherungssystems zukunftsfest zu machen.“
Denkverbote hat sich offenbar auch der Wirtschaftsrat des Koalitionspartners CDU, der den Bundeskanzler Friedrich Merz stellt, der in der Bundesregierung im Zweifelsfalle von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch machen kann, nicht erteilt. In seiner kürzlich veröffentlichten „10-Punkte-Agenda für einen starken Wirtschafts- und Investitionsstandort Deutschland“ liest sich folgender Vorschlag: „Krankenversicherung: Verschiedene Leistungen lassen sich gut privat absichern oder selbst tragen und sollten nicht länger im Umlageverfahren den Beitragszahlern zur Last fallen. Dazu zählen beispielsweise generell die zahnärztlichen Leistungen, Kieferorthopädie oder Fahrtkosten für Behandlungen. Gleichzeitig sollte durch Selbstbeteiligungen das Prinzip der Eigenverantwortung auch in der Krankenversicherung gestärkt werden.“
Zum Hintergrund: Auf die zahnärztlichen Behandlungen ohne Zahnersatz entfielen im ersten Halbjahr 2025 insgesamt 5 Prozent der Gesamtausgaben, auf den Zahnersatz 1 Prozent. Stiegen die Gesamtausgaben der GKV im Vergleich zum ersten Halbjahr 2024 um rund 12,7 Milliarden Euro, so beliefen sich Mehrausgaben beim zahnärztlichen Honorar auf 317 Millionen Euro, woraus Gesamtkosten in Höhe von rund 7,42 Milliarden Euro resultierten. Beim Zahnersatz betrug die Steigerung 51 Millionen Euro – auf insgesamt 2,14 Milliarden Euro. Der größte Kostenblock entfiel – traditionsgemäß – mit rund 54,54 Milliarden Euro auf die Krankenhausbehandlung, wobei hier eine Steigerung um rund 4,8 Milliarden Euro zu verzeichnen gewesen ist.
Der Spar-Vorstoß aus Teilen der Regerungspartei CDU ist natürlich auch den Grünen nicht entgangen – im Gegenteil, er ist ein gefundenes Fressen für die Oppositionspartei im Bundestag. Ende September veröffentlichte die Fraktion unter Beteiligung ihrer führenden gesundheitspolitischen Akteure ein Positionspapier, das Merz, Warken & Co in die Pflicht nimmt. „Nie zuvor haben die Beitragszahler*innen einen so hohen Teil ihres Einkommens für die Gesundheits- und Pflegeversorgung aufgebracht – und leiden trotzdem unter immer längeren Wartezeiten und Terminengpässen. Während Pflegekräfte und Ärzt*innen teils am Rande der Belastungsgrenze Übermenschliches leisten, liegt die Lebenserwartung in Deutschland inzwischen unter westeuropäischem Durchschnitt. Unser Gesundheits- und Pflegesystem istso teuer, weil zu viel Geld in ineffizienten Strukturen versickert und an falschen Stellen Ausgaben ungebremst steigen. Bei den gesetzlichen Krankenkassen zeigt sich das massive Ausgabenproblem besonders deutlich“, heißt es zur Einordnung der Situation.
Der kurative fiskalpolitische Ansatz liest sich dann so: „Es kann nicht sein, dass die gesetzlich Versicherten die Rechnung für Aufgaben zahlen, die eigentlich der Staat übernehmen müsste. Die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung darf nicht länger als eine Art Schattenhaushalt für die Sozial- und Gesundheitspolitik herhalten. Zum Beispiel die Kranken- und Pflegeversicherung von Bürgergeldbeziehenden oder Rentenbeiträge für pflegende Angehörige sind gesamtgesellschaftliche Aufgaben; und die müssen auch aus Steuermitteln finanziert werden. Momentan aber tragen allein die Beitragszahler*innen diese Last, privat Versicherte und Spitzenverdiener*innen sind nicht gleichermaßen beteiligt. Das ist unfair.“
Ihrem Ärger ließ die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) schon im August freien Lauf, als die Techniker Krankenkasse (TK) schon Wochen vor dem CDU-Wirtschaftsrat einen „10-Punkte-Plan für eine Ausgabenwende“ prominent befeuerte. Die Vorschläge, mit denen sich die Kasse an die Politik wendet, sehen unter anderem weitreichende Kürzungen bei der zahnärztlichen Versorgung vor. Die KZBV warnte vor schwerwiegenden Folgen für die Patientinnen und Patienten durch ein derart undifferenziertes Spardiktat.
Dazu ließ sich KZBV-Chef Martin Hendges in einer Mitteilung wie folgt zitieren: „Mit ihrem 10-Punkte-Plan proklamiert die Techniker Krankenkasse eine ‚Ausgabenwende‘, wirft dabei jedoch völlig undifferenziert alle Bereiche der GKV in einen Topf und setzt die Axt pauschal an allen Versorgungszweigen an. Wer so etwas ernsthaft fordert, verkennt die Realität und ignoriert, dass vom zahnmedizinischen Versorgungsbereich kein Risiko für die GKV-Finanzen ausgeht. Im Gegenteil: Unser präventiver Versorgungsansatz trägt vielmehr zu stabilen und nachhaltigen Finanzen bei. Derart polemische Vorschläge lenken vielmehr von den tatsächlichen Herausforderungen ab, denen sich das Gesundheitssystem stellen muss.“
Fakt ist: Die zahnärztliche Versorgung kann als einziger relevanter Versorgungsbereich eine langfristige stabile Ausgabenentwicklung aufweisen. Durch den konsequent auf Prävention ausgerichteten Versorgungsansatz ist der Anteil für vertragszahnärztliche Leistungen an den gesamten GKV-Leistungsausgaben – trotz Ausweitungen des GKV-Leistungskatalogs – über die vergangenen Jahrzehnte kontinuierlich und seit 2001 um mehr als 30 Prozent gesunken. Im Jahr 2024 machten zahnärztliche Behandlungen (inklusive Zahnersatz) sogar nur noch 5,8 % der GKV-Leistungsausgaben aus.
„Die Vorschläge der TK gehen allein zu Lasten ihrer Versicherten“, so Hendges weiter, „Die kurzsichtigen Sparmaßnahmen des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes für die Jahre 2023 und 2024 haben die zahnärztliche Versorgung schwer getroffen und sollten eigentlich allen ein mahnendes Beispiel sein. Das Gesetz hat die wirtschaftliche Belastbarkeit der Praxen bereits auf das Äußerste strapaziert und insbesondere der präventionsorientierten Parodontitistherapie nachhaltige Schäden zugefügt. Erneute kurzsichtige Kostendämpfungsmaßnahmen nach dem Rasenmäherprinzip würden der GKV selbst mehr schaden als ihr nutzen. Für eine zukunftssichere flächendeckende Versorgung benötigen die Zahnarztpraxen vielmehr Planungssicherheit durch stabile finanzielle Rahmenbedingungen. Auf systemischer Ebene sind vor allem Investitionen in Prävention erforderlich. Hierdurch würden mittel- bis langfristig auch die GKV-Finanzen entlastet werden.“
Hendges rührt hier nochmals die Werbetrommel für die Prävention als zentrale Stellschraube, um langfristig bei den Gesundheitskosten zu sparen. So mache die KZBV in ihrer Agenda Mundgesundheit hierzu konkrete Vorschläge und fordere die Bundesregierung auf, Prävention zum Leitmotiv ihres gesundheitspolitischen Handelns zu machen. Diesem folgend sollte insbesondere die präventionsorientierte Parodontitistherapie gesetzlich als Früherkennungs- und Vorsorgeleistungen verankert und vollumfänglich vergütet werden.Mitte September schaltete sich Hendges erneut in die immer heftigere GKV-Spardiskussion ein: „Der bisherige Ansatz, vornehmlich Krankheiten zu behandeln, anstatt diesen durch verstärkte Präventionsmaßnahmen frühzeitig wirksam entgegenzutreten, ist an seine Grenzen gestoßen. Die konsequente Präventionsausrichtung in der vertragszahnärztlichen Versorgung beweist, dass Prävention der Schlüssel für die mittel- und langfristige Entlastung der GKV-Finanzen ist.“
Denn damit sei es der Zahnärzteschaft gelungen, den Anteil an den GKV-Ausgaben für vertragszahnärztliche Leistungen – trotz Ausweitungen des Leistungskatalogs – seit 2001 auf unter sechs Prozent zu senken. Zugleich belegten die Daten der Sechsten Deutschen Mundgesundheitsstudie, dass die breite Bevölkerung das Angebot frühzeitiger und umfangreicher Präventionsleistungen mit messbarem Erfolg in Anspruch nehme. „Die Vorsorgeorientierung der Menschen im zahnmedizinischen Bereich sollte also Vorbild für andere Bereiche im Gesundheitssystem sein. Umso unverständlicher ist es, wenn jetzt von unterschiedlichen Seiten Vorschläge zur kurzfristigen Einsparung auf Kosten der Prävention gemacht und undifferenzierte Ideen zur Einfrierung von Ausgaben kommuniziert werden. Man spart damit am völlig falschen Ende und verschiebt die Kostenlast nur in die Zukunft“, so das Plädoyer des KZBV-Vorstandsvorsitzenden.
In ihrem jüngst im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums veröffentlichten Herbstgutachten adressieren auch die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute als Herausgeber die Situation der sozialen Sicherungssysteme. „Insbesondere die gesetzlichen Renten-, Kranken- und Pflegeversicherungen stehen vor Deckungslücken, die ohne Reformen zu Lasten der aktiven Generation gehen werden. Vor diesem Hintergrund braucht Deutschland einen wirtschaftspolitischen Kompass, der Orientierung bietet. Es geht um die Rückbesinnung auf die Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft, die Formulierung eines klaren Zielkanons für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung und die Ableitung konkreter Reformschritte, die den aktuellen Herausforderungen gerecht werden“, schreiben sie im Gutachten.
Die Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme belaste zudem zunehmend die Beschäftigung. „Im Jahr 2025 beträgt der Gesamtsozialversicherungsbeitragssatz 41,9 Prozent des Bruttoeinkommens. Besonders stark gestiegen sind zuletzt die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung, wo der Zusatzbeitrag nun 2,9 Prozent beträgt, nach 1,7 Prozent im Vorjahr. Der Basis-Beitragssatz zur sozialen Pflegeversicherung liegt nun bei 3,6 Prozent – ein Plus von 0,2 Prozentpunkten gegenüber dem Vorjahr. Ohne tiefgreifende Reformen wird die Beitragsbelastung nach Schätzung der Institute bis zum Jahr 2029 auf über 45 Prozent weiter zunehmen“, lautet die düstere Prognose.
Auch das ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim hat sich in die Debatte um die GKV-Finanzen eingeschaltet. Professor Simon Reif, Leiter der ZEW-Forschungsgruppe Gesundheitsmärkte und Gesundheitspolitik kommentiert dazu, viele bisherige Lösungsansätze konzentrierten sich auf Umverteilungen zwischen öffentlichen Haushalten, etwa durch eine Reduzierung der Mehrwertsteuer auf Arzneimittel oder eine angemessenere Abdeckung der Gesundheitsausgaben für Bürgergeldempfänger. Solche Maßnahmen seien in Zeiten der gelockerten Schuldenbremse vergleichsweise einfach umzusetzen, lösten das Grundproblem des teuren deutschen Gesundheitssystems aber nicht. Deutschland habe im EU-Vergleich die höchsten Gesundheitsausgaben pro Kopf, entsprechend müssen echte Strukturreformen an der Ausgabenseite ansetzen. „Reformen auf der Ausgabenseite bedeuten, dass Krankenhäuser, Arztpraxen und Pharmaunternehmen weniger zusätzliches Geld bekommen. Solche Reformen sind politisch unpopulär, entsprechend ist es ein wichtiges Signal, dass immerhin der Bundesrechnungshof in seiner Stellungnahme Reformen in diese Richtung anmahnt. Die Finanzprobleme der GKV werden sich systemisch weder durch weiteres Ignorieren noch durch einen Ruf nach mehr Steuergeldern lösen lassen“, so Reif.
Auch die Bundeszahnärztekammer (BZÄK) geht damit d’accord, dass es ohne tiefgreifende Reformen keine nachhaltige Sicherung des Wohlstandes einschließlich der Sozialversicherungssysteme in Deutschland geben werde. „Wir können uns kein Zögern mehr leisten, um die Weichen für ein zukunftsfähiges Gesundheitssystem zu stellen. Denn die Bürgerinnen und Bürger müssen sich darauf verlassen können, dass sie wohnortnah und qualitativ hochwertig (zahn-)medizinisch versorgt werden. Insofern ist ein guter Zugang zum Gesundheitssystem auch ein wichtiger wirtschaftlicher Standortfaktor im Wettbewerb um Fachkräfte. Darüber hinaus bedeutet Zukunftsfähigkeit auch Krisenfestigkeit und Resilienz des Gesundheitswesens angesichts möglicher Krisen- und Konfliktszenarien“, schreibt sie im Vorwort zum BZÄK-Jahresbericht 2024/2025.
Vor dem Hintergrund der zunehmenden Verschlechterung der GKV-Finanzen und einer daraus möglicherweise folgenden Budgetierung (zahn-)ärztlicher Leistungen dränge sich die Frage auf, wie das grundsätzlich erfolgreiche duale System aus gesetzlicher und privater Krankenversicherung auch unter veränderten Bedingungen nicht nur erhalten, sondern auch verbessert werden könne. In diesem Kontext adressiert die BZÄK unter anderem das primärärztliche System zur besseren Patientensteuerung, das in vielen europäischen Ländern bereits die Regel sei. „Hierbei würde der haus(zahn)ärztlichen Praxis als der Nukleus moderner (Zahn-)Medizin eine besondere Bedeutung zukommen: Sie kann den Großteil der Patientenbedürfnisse in bester Qualität abdecken und stützt sich regelmäßig auf ein streng qualitätsorientiertes Überweiser-Netzwerk. Die Zahnärzteschaft mit ihren in großer Mehrheit inhabergeführten Praxen wäre darauf bestens vorbereitet“, heißt es. Auch verweist die Kammer auf das Potenzial der Prävention und Vorsorge.
Auf der Pressekonferenz im Nachgang zur medial groß inszenierten Kabinettsklausur in der Villa Borsig spielte das Thema der GKV-Finanzen keinerlei Rolle – auch nicht bei den nachfragenden Journalisten. Auch beim Koalitionsausschuss habe es laut Warken noch keinen finalen Beschluss zu möglichen Maßnahmen gegeben. Die erwartete Entscheidung der Koalition soll allerdings noch in die offizielle Prognose des Schätzerkreises einfließen, die für den 15. Oktober erwartet wird.
Der GKV-Schätzerkreis ist beim Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS) angesiedelt. Ihm gehören Fachleute aus den Reihen von BMG, BAS und GKV-SV an. Der Schätzerkreis taxiert die Entwicklung der Einnahmen, Ausgaben sowie der Zahl der Versicherten und Mitglieder in der GKV des laufenden Jahres und gibt eine Prognose für die weitere Entwicklung im Folgejahr ab. Letztere ist die Basis für die Festlegung des durchschnittlichen Zusatzbeitragssatzes durch das BMG. Zu berücksichtigen haben die Fachleute unter anderem, dass durch die zum Jahreswechsel anstehende Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenzen per se mit höheren Einnahmen als 2025 zu rechnen ist. In der GKV soll sich die Beitragsbemessungsgrenze 2026 auf jährlich 69.750 Euro beziehungsweise 5.812,50 Euro im Monat erhöhen. 2025 waren es noch 66.150 Euro im Jahr beziehungsweise 5.512,50 Euro im Monat. Die Versicherungspflichtgrenze in der GKV beläuft sich 2026 auf jährlich 77.400 Euro beziehungsweise monatlich 6.450 Euro. 2025 waren es noch 73.800 Euro beziehungsweise 6.150 Euro im Monat.
Erneut befeuert hat die hitzige Diskussion das Beratungsunternehmen Deloitte. Am Freitag veröffentlichte es die Projektion „Finanzkrise der GKV – Reformansätze auf dem Prüfstand“, wonach die wachsende Finanzlücke auch die laut Koalitionsvertrag geplanten Maßnahmen nur in begrenztem Umfang verringern könne. Im Jahr 2030 würden der GKV demnach 87 Milliarden Euro fehlen. Auf lange Sicht werde die Lücke größer: Rund 565 Milliarden Euro würde die Unterdeckung der gesetzlichen Krankenkassen im Jahr 2050 betragen, wenn die von der Koalition geplanten Maßnahmen vollständig umgesetzt werden. Ohne die beabsichtigten Strukturreformen zur Stärkung der Digitalisierung, zum Bürokratieabbau oder zur Weiterentwicklung der Krankenhäuser würden sogar 615 Milliarden Euro fehlen, so die Berater.
Beitragssteigerungen seien, so die Schlussfolgerung, unter diesen Voraussetzungen kaum zu vermeiden. Bei einer Unterdeckung von 565 Milliarden Euro in 2050 sei nach Deloitte-Berechnungen ein durchschnittlicher Beitragssatz von 28,7 Prozent nötig, damit die gesetzlichen Krankenkassen ihre Ausgaben decken können. Aktuell liegt der von den Krankenkassen erhobene durchschnittliche Beitragssatz laut Bundesgesundheitsministerium bei 17,5 Prozent. Nun hat Warken angekündigt, am heutigen Mittwoch solle das Bundeskabinett ein kleines Sparpaket absegnen und damit den Weg für den parlamentarischen Prozess freimachen.
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